Er ist nicht hier

Zwei Mal das gleiche Bild von verschiedenen Personen gemalt. Derselbe Moment zwei Mal mit Pinsel und Farbe auf Leinwand und Papier gebracht: Das Grab ist offen, das Erdbeben steckt den Frauen in den Knochen und der Leichnam Jesu ist verschwunden!

Die Trauer über den Tod Jesu, das Erschrecken über das Erscheinen des Engels und die Angst angesichts des Erdbebens spiegeln sich in dem Acrylgemälde von Pfarrer Reschke. Traurig lässt die eine Frau ihren Kopf und ihre Schultern hängen. Die andere scheint das Gleichgewicht verloren zu haben; versucht sich taumelnd an ihrer Freundin fest zu halten. Der Engel hinter ihnen ist ganz präsent. Liebevoll neigt er seinen Kopf den Frauen zu. Er ist da für sie, solange sie ihn brauchen. So lange wie es braucht bis die Nachricht „Christus ist auferstanden“ ihre Herzen erreicht hat. Er ist da und schenkt ihnen Ruhe und Kraft.

Dann das zweite Bild. Die gleiche Szene. Oder doch nicht? Da ist etwas anders: Die Frauen stehen aufrechter. Betrachten eher fasziniert das leere Grab. „Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen“, das hatte der Engel gesagt, bevor er nun langsam mit dem Gegenlicht der aufgehenden Sonne verschmilzt und verschwindet. Seine Botschaft ist gesagt. Die Frauen haben sie gehört und gesehen. Sie haben die Worte des Engels verstanden. Noch stehen sie wie angewurzelt da, aber gleich wird die Freude über die Nachricht ihr Herz erreichen und sie werden loslaufen, um die gute Nachricht weiter zu verbreiten.

Zwei Bilder, die eigentlich ein und dieselbe Szene zeigen sollen. Wir wollten das gleiche Bild malen. Tatsächlich haben wir zwei Szenen gemalt. Sie liegen nur wenige Sekunden auseinander und doch ist dadurch alles anders.

In den vergangenen Wochen mussten wir alle erleben, dass innerhalb von wenigen Tagen unsere uns bekannte und vertraute Welt auf den Kopf gestellt wurde. Veranstaltungen und Treffen, auf die man sich gefreut hatte, wurden abgesagt. Unsere Bewegungsfreiheit immer mehr eingeschränkt. Wie schnell so etwas gehen kann. Eben schien noch alles gut zu sein – und dann irgendwie gar nichts mehr. Ein Erleben, das auch Jesu Jünger hatten: Eben noch am Palmsonntag ist Jesus unter dem Jubel der Bevölkerung in Jerusalem eingezogen und wenige Tage später ist er tot und sie müssen aufpassen nicht auch als Aufrührer verhaftet und hingerichtet zu werden. Das darf doch alles nicht wahr sein! Kann ich nicht aus diesem Alptraum aufwachen? Das werden sich Jesu Jüngerinnen und Jünger gefragt haben, genauso wie auch viele von uns, die die plötzlichen Veränderungen erst nicht so richtig fassen konnten.

Doch mit den Ereignissen des Ostermorgen wird wieder alles anders. Christus ist auferstanden! Gott macht deutlich, dass er das Leben und nicht den Tod will.

Die ausgesprochene Botschaft „Christus ist auferstanden“ verändert die gemalte Szene – sie verändert die Welt. Sie richtet Menschen auf und lässt sie fest auf dem Boden der Tatsachen stehen. Mich erfüllt diese Nachricht mit Hoffnung. Mit der Hoffnung, dass die Welt eben nicht verloren sondern gerettet ist. Egal was wir auch immer erleben.

Aber obwohl die Botschaft „Christus ist auferstanden“ nun ausgesprochen ist, obwohl sie in der Welt ist und die Szene verändert hat, ändert sich nach außen hin zunächst gar nichts. Die Frauen berichten den anderen Jüngerinnen und Jüngern von ihrem Erlebnis am Grab. Der Jubel ist da, im stillen Kämmerlein und nur mit den engsten Vertrauten wird das erste Osterfest der Weltgeschichte gefeiert. Bei dem ein oder anderen dauerte es sicherlich, bis die frohe Botschaft so richtig angekommen ist. Aber dann ist die Freude unendlich – und doch wird es noch einige Zeit dauern, bis die Jüngerinnen und Jünger Jesu anfangen werden raus zu gehen. Es wird bis Pfingsten dauern noch 50 Tage werden sie mehr oder weniger zurückgezogen leben, bis sie durch den Tröster, den Heiligen Geist das Signal und auch die Kraft bekommen: Jetzt ist es an der Zeit wieder raus zu gehen!

Jetzt ist es Zeit wieder raus zu gehen und unser „normales“ Leben wieder aufnehmen. Auf dieses Signal, in unserem Fall durch die Bundesregierung, warten wir noch. Wir wissen noch nicht, wann wir wieder gemeinsam Gottesdienst feiern können, uns zur Begrüßung die Hände schütteln können oder uns ohne komisches Gefühl in die Arme nehmen können. Ich gehe davon aus, dass irgendwann in den nächsten Wochen unser Leben wieder Stück für Stück normaler wird, weil die strengen Regelungen immer mehr gelockert werden. Das wir uns dann auch angstfrei begegnen können, nicht mehr aus Gewohnheit beim Einkaufen Abstand halten, nicht mehr Menschenansammlungen meiden, nicht mehr bei jedem Husten zusammenzucken, das wird die Aufgabe des Trösters sein, den Christus den Jüngerinnen und Jüngern und damit auch uns versprochen hat. Ich bin mir sicher, dass er für uns da sein wird, wenn es an der Zeit dazu ist. Genauso vertraue ich darauf, dass Gott jedem und jeder einen Engel an seine und ihre Seite stellt, der uns immer wieder auf das leere Grab hinweist, denn „Er ist auferstanden von den Toten.“

(Pfarrerin Hilke Perlt)

 

Zurück